2 Blicke auf das Thema „Was können Biofaktoren bei den großen Volkskrankheiten im Alter bewirken?“

Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes zählen bekanntermaßen zu den großen Volkskrankheiten unserer Zeit, von denen vor allem ältere Patienten* betroffen sind. In dem 2-Blicke-Beitrag erklären Prof. Dr. med. Klaus Kisters und Prof. Dr. med. Hans Georg Classen, welche Rolle essenzielle Biofaktoren wie Vitamine und Mineralstoffe in Prävention und Behandlung dieser Erkrankungen spielen können.


„Für das Herz-KreislaufSystem haben sich neben Kalium insbesondere Magnesium und Vitamin D3 bewährt.“

- Prof. Dr. med. Klaus Kisters1, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB)


Herr Prof. Kisters, mögen Sie, bevor wir auf den Nutzen von Biofaktoren bei Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter zu sprechen kommen, kurz auf den Aspekt einer herzgesunden Lebensweise eingehen? 

Kisters: Neben dem Vermeiden von Übergewicht halten Bewegung bzw. ein regelmäßiges Ausdauer- und Krafttraining das Herz-Kreislauf-System in Schwung. Dieser Aspekt wurde auch in den Leitlinien der europäischen Fachgesellschaft der Kardiologen berücksichtigt. Körperliche Aktivität kann Blutdruck, Blutzucker und Blutfette senken, die kardiovaskuläre Mortalität reduzieren, es treten weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle auf. 

Vitamine und Mineralstoffe für das Herz-Kreislauf-System: An welche Biofaktoren gilt es zu denken?

Kisters: Aufgrund physiologischer Wirkungen und Studienlage haben sich neben Kalium – dessen Nutzen ja weitgehend bekannt ist – insbesondere Magnesium und Vitamin D3 bewährt. Bei Hypertonie interessiert die Wirkung von Magnesium als physiologischer Calciumantagonist. Magnesiumsupplemente können einen erhöhten Blutdruck senken – laut Metaanalysen sogar signifikant und nicht nur durch intravenös verabreichtes, sondern auch durch oral eingenommenes Magnesium. Hier lagen die Tagesdosen bei etwa 300 mg Magnesium. Der Nutzen des Biofaktors in der Behandlung von Herzrhythmusstörungen ist ebenfalls gut dokumentiert. Um rasch einen schweren Magnesiummangel auszugleichen, können in den ersten 24 Stunden bis zu 10 g Magnesiumsulfat i. v. verabreicht werden. Es sind allerdings auch Studien bekannt, die den Nutzen oraler Magnesiumsupplemente dokumentiert haben. 

Was gibt es noch zur Rolle von Magnesium bei Herz-Erkrankungen zu berichten? 

Kisters: Ein guter Magnesiumstatus kann sich positiv auf eine Herzinsuffizienz auswirken. Zudem gibt es Hinweise, dass ein Magnesiummangel mit einer erhöhten KHK-Mortalität und einem erhöhten Risiko für einen plötzlichen Herztod in Zusammenhang steht.

Was bedeutet das für die Praxis? 

Kisters: Grundsätzlich ist bei Patienten mit Hypertonie, Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit und Rhythmusstörungen oder nach einem Myokardinfarkt der Magnesiumstatus zu erfassen und ein eventueller Magnesiummangel auszugleichen. Bei Verdacht auf Magnesiummangel ist es wichtig zu wissen, dass sich die Dia­gnostik nicht nur auf Laborergebnisse, sondern auf die drei Säulen Anamnese, Mangelsymptomatik und Analytik stützt. Routinemäßig wird zwar das Serummagnesium gemessen. Und es werden laut einer aktuellen Empfehlung Referenzwerte über 0,85 mmol/L angestrebt. Dennoch ist der Wert nur bedingt zuverlässig, da trotz Serumwerten im Normbereich intrazellulär ein Magnesiummangel vorliegen kann. Ausführliche Informationen zu diesem Thema erhalten Ihre Leser übrigens auf der Webseite unserer Gesellschaft: www.gf-biofaktoren.de 

Welche Rolle spielt Vitamin D3 bei Herz-Keislauf-Erkrankungen?

Kisters: Laut Studienlage erhöht auch ein Vitamin-D3-Mangel das Risiko für Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Voraussetzung ist allerdings ein tatsächlich nachgewiesener Mangel; gut versorgte Patienten profitieren nicht unbedingt von einer Vitamin-D3-Supplementierung. Die Labordiagnostik ist bei Vitamin D3 also allein aus diesem Grund wichtig, und Informationen hierzu finden Leserinnen und Leser ebenfalls auf der Webseite der GfB. Zum Ausgleich eines Vitamin-D3-Mangels werden 800 bis  2.000 IE Vitamin D3 pro Tag  eingesetzt – beispielsweise auch laut einem Expertenkonsens, bei dem Prof. Stefan Pilz, einer unserer Beiratsmitglieder, maßgeblich beteiligt war. Nur bei anhaltendem Mangel, Adipositas oder Resorptionsstörungen können höhere Vitamin-D3-Tagesdosen bis 6.000 IE nötig sein.

Vielen Dank, Prof. Kisters, für das Interview.

 


„Erhöhter Bedarf besteht im Rahmen eines Diabetes mellitus Typ 2 beispielsweise an Magnesium und Zink sowie den Vitaminen B1 und B12.“

- Prof. Dr. med. Hans Georg Classen2, Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB)


Herr Prof. Classen, laut aktuellem Gesundheitsbericht der Deutschen Diabetes Gesellschaft leben in Deutschland fast neun Millionen Menschen mit einem diagnostizierten Diabetes mellitus, davon 95 % mit Typ-2-Diabetes. Damit zählt Diabetes zweifelsfrei zu den großen Volkskrankheiten unserer Zeit und auch hier zählen vor allem die älteren Patienten als Risikogruppe. Was können Biofaktoren bewirken

Classen: Im Vergleich zu gesunden Menschen sind Patienten mit Diabetes mellitus gleich aus mehreren Gründen gefährdet, in einen Biofaktorenmangel zu geraten. Zum einen haben sie aufgrund ihrer Stoffwechselerkrankung einen erhöhten Bedarf an einzelnen Biofaktoren wie beispielsweise Magnesium und Zink und den Vitaminen B1 und B12. Zum anderen sind Arzneimittelwechselwirkungen zu berücksichtigen und nicht zuletzt zeichnen sich einzelne Biofaktoren durch eigenständige Effekte auf den Zuckerstoffwechsel aus.

Schauen wir zunächst auf das Magnesium. Aufgrund seiner Beteiligung am Zuckerstoffwechsel kann ein Magnesiummangel eine Insulinresistenz fördern. Ebenfalls bekannt ist, dass Magnesiumsupplemente die Insulinsensitivität erhöhen und zu einer verbesserten Qualität der Diabeteseinstellung führen können, aber auch in der Prävention diabetischer Folgeerkrankungen, insbesondere im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hilfreich sind. 

Welche Aufgaben erfüllt Zink?

Classen: Der Biofaktor Zink beeinflusst Insulinbildung, -wirkung und -resistenz. Beispielsweise ist der Insulingehalt in den Inselzellen des Pankreas bei Zinkmangel vermindert. Auch kommt es aufgrund der Hyperglykämie und der Proteinurie zu einer erhöhten renalen Zinkausscheidung. Was ist aus Studien bekannt? Die Zinkaufnahme bei Patienten mit Diabetes ist signifikant niedriger als bei gesunden Kontrollprobanden, die Zinkspiegel nehmen abhängig von der Erkrankungsdauer ab und eine im Vergleich zu den Zufuhrempfehlungen der D-A-CH-Fachgesellschaften für Ernährung höhere Zinkzufuhr kann das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes reduzieren. Während die empfohlenen Tagesdosen zur Vermeidung eines Zinkmangels bei Gesunden bei maximal 16 mg liegen, wurden in den Studien Tagesdosen im Bereich von 30 mg Zink eingesetzt.

Interessant ist auch die antioxidative Wirkung von Zink. Als Bestandteil der Superoxiddismutase, einem Enzym zum Schutz vor reaktiven Sauerstoffverbindungen, kann der Biofaktor vor oxidativem Stress und einer Überladung mit freien Radikalen schützen. Wir wissen heute, dass bei einer diabetischen Stoffwechsellage jeder Blutzuckeranstieg zu einem deutlichen Anstieg freier Radikale führt. Und diese wiederum erhöhen das Risiko Diabetes-spezifischer vaskulärer Komplikationen beispielsweise an Gefäßen, Nerven und Augen. Nicht zuletzt kann Zink aufgrund verschiedener Effekte auf den Hautstoffwechsel das Risiko für Wundheilungsstörungen im Rahmen eines Diabetes reduzieren und ist dadurch hilfreich in der Prävention und Behandlung des diabetischen Fußsyndroms. Der diabetische Fuß ist ja nach wie vor eine der gefürchtetsten Folgeerkrankungen des Diabetes, die jedes Jahr zu etwa 50.000 Amputationen führt.

Welche Bedeutung haben die Vitamine B1 und B12? 

Classen: Patienten mit Diabetes haben auch ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-B1-Mangel. Zum einen erhöht sich der Vitamin-B1-Bedarf, zum anderen wird der Biofaktor renal vermehrt ausgeschieden. Als Folge kann es zu Nervenschäden mit der Entwicklung einer diabetischen Neuropathie kommen. Um einen Vitamin-B1-Mangel zu behandeln, wird übrigens häufig das besser bioverfügbare Benfotiamin angewendet, das zu einer Linderung neuropathischer Beschwerden beitragen kann.

Und Vitamin B12?

Classen: Der Vitamin-B12-Status wird durch das orale Antidiabetikum Metformin beeinflusst, dessen hoher therapeutischer Wert für Diabetiker keinesfalls bestritten werden soll. Patienten mit einem Diabetes, die Metformin einnehmen, haben aber ein deutlich höheres Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel. Der ungünstige Einfluss von Metformin auf den Vitamin-B12-Spiegel ist mittlerweile gut dokumentiert – zuletzt in einer Studie vom April 2023. Hier wurden verschiedene Risikofaktoren für einen Vitamin-B12-Mangel bei Diabetes-Patienten untersucht und unter anderem eben eine Metformintherapie. Fast jeder dritte Patient, der täglich 1,5 g Metformin einnahm, hatte einen Vitamin-B12-Mangel. Und bei einer täglichen Metformindosis von 3 g waren es sogar zwei von drei Patienten.

Was bedeuten diese Ergebnisse für die Praxis? Laut Autoren der Studie sollte das Screening auf einen Vitamin-B12-Mangel Teil der jährlichen Untersuchung von Patienten mit Diabetes sein. Und zwar unabhängig von der Erkrankungsdauer und insbesondere, wenn die Patienten mehr als 1,5 g Metformin täglich einnehmen, Vegetarier sind und keine Vitamin-B12-Supplemente erhalten. Ebenfalls inte­ressant: Auch die Deutsche und die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft empfehlen, bei Patienten unter Metformintherapie regelmäßig den Vitamin-B12-Status zu prüfen.

Vielen Dank, Prof. Kisters, für das Interview.

 


1 Prof. Kisters war bis Ende 2022 Chefarzt an der Medizinischen Klinik I am St. Anna Hospital in Herne und Leiter des als European Hypertension Excellence Centre (ESH) ausgezeichneten Hypertoniezentrums dort. Seit Januar 2023 ist er stellvertretender Leiter des Dialysezentrums Herne, seit 2001 Professor an der Westfälische Wilhelms-Universität-Münster. 

2 Prof. Classen war bis zu seiner Emeritierung Leiter des Fachgebietes Pharmakologie und Toxikologie der Ernährung an der Universität Stuttgart-Hohenheim.

 


* Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

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