Fragen und Antworten in Rechtsbelangen

„Ein Patient wurde von seinem Hausarzt mit der Verdachtsdiagnose ,Kopfschmerzen‘ zum MRT in unserer radiologischen Praxis überwiesen. Wir attestierten einen unauffälligen Befund. Tatsächlich wurde der Patient später wegen eines primären Cholesteatoms operiert und erlitt eine Facialisparese. Der Patient klagt nun, dass das Cholesteatom bereits von uns hätte beschrieben werden müssen. Allerdings war eine Befundung außerhalb des Gehirnschädels vom Auftragsumfang des Hausarztes gar nicht umfasst. Können wir dennoch in Anspruch genommen werden?“ Diese und weitere Ihrer Fragen beantwortet Rechtsanwalt Sven Rothfuß.

Fehlende Aufnahme des Nebenbefunds

Herr Dr. L. aus Kassel

Ich bin in einem radiologischen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) tätig. Uns erreichte kürzlich die Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderung eines von uns behandelten Patienten. Er wurde von seinem Hausarzt mit der Verdachtsdiagnose „Kopfschmerzen“ zum MRT zu uns überwiesen. Im von uns angefertigten Arztbrief wurde ein unauffälliger Befund beschrieben. Tatsächlich wurde der Patient 16 Monate später wegen eines primären Cholesteatoms operiert und erlitt bei der OP eine Facialisparese. Der Patient möchte uns nun mit der Begründung in Anspruch nehmen, dass das Cholesteatom bereits von uns hätte beschrieben werden müssen. Dann wäre er zügiger behandelt worden und die Komplikation der Facialisparese wäre wahrscheinlich nicht eingetreten. Zwar waren im MRT Signalveränderungen in Cochlea und den Bogengängen zu erkennen. Allerdings wurde der Patient mit der Verdachtsdiagnose „Kopfschmerz“ überwiesen. Eine Befundung außerhalb des Gehirnschädels war vom Auftragsumfang des Hausarztes damit gar nicht umfasst. Kann es sein, dass wir dennoch in Anspruch genommen werden können?

Herr Rothfuß:

„Mit der Frage, inwieweit auch radiologische Befunde, die nicht vom Auftrag des überweisenden Arztes umfasst sind, beschrieben werden müssen, befasst sich ein kürzlich vom Oberlandesgericht (OLG) Dresden erlassenes Urteil (vom 10.10.2023, Az. 4 U 634/23; Revision anhängig beim Bundesgerichtshof (BGH)). Das Gericht nahm in einer ähnlichen Konstellation einen Diagnose­irrtum des Radiologen an. Der Radiologe dürfe sich nicht nur auf den Auftragsumfang beschränken. Er müsse alle Auffälligkeiten beschreiben, die er aus fachlicher Sicht unter Berücksichtigung der im Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten feststellen müsse. Wie bereits der BGH in einem Urteil vom 21.12.2010 (Az. VI ZR 284/09) festgestellt hat, dürfe er dabei vor erkennbaren Zufallsbefunden ,nicht die Augen verschließen‘. Diese müssten dann zumindest als Nebenbefunde beschrieben werden. Im vom OLG Dresden entschiedenen Fall konnte der Patient jedoch nicht darlegen, dass die unterlassene Beschreibung der Läsion im MRT dazu geführt hätte, dass die Behandlung derart verzögert worden sei, dass die Verzögerung als kausal für den erlittenen Schaden anzusehen sei.

Da somit grundsätzlich auch erkennbare Nebenbefunde beschrieben werden müssen, ist eine Inanspruchnahme des Radiologen, wenn er dies unterlässt, denkbar. Im Einzelfall wird es zusätzlich aber darauf ankommen, ob der Fehler des Radiologen auch kausal für den konkret eingetretenen Schaden war.“

Pauschalpreise und Rabatte

Herr Dr. G. aus Magdeburg

Ich bin als niedergelassener Chirurg in einer Einzelpraxis tätig. Eine örtliche MVZ-GmbH wirbt neuerdings mit pauschalen Preisen für Erst- und Folgetermine sowie Rabattaktionen, wenn etwa innerhalb eines gewissen Zeitraums ein Termin vereinbart wird. Ich erstelle die Rechnungen gegenüber meinen selbstzahlenden Patienten nach den Vorgaben der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), obwohl ich häufiger nach der Möglichkeit eines Pauschalpreises gefragt werde. Ich dachte, dass Ärzte an die GOÄ gebunden seien und daher auch nur nach dieser abrechnen dürften. Ist die pauschale Abrechnung des MVZ zulässig?

Herr Rothfuß:

„Nach einem Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 21.09.2023 (Az. 6 W 69/23) bindet die GOÄ ausschließlich Ärzte, wenn sie einen Behandlungsvertrag mit einem Patienten schließen. Ist aber eine Kapitalgesellschaft Leistungserbringer und Behandler im Sinne des Behandlungsvertrags, gilt die GOÄ nach dieser Entscheidung nicht. Ist also eine MVZ-GmbH Vertragspartnerin des Patienten, soll nach der Auffassung des OLG Frankfurt a. M. das Honorar frei festgelegt werden können.

Die pauschale Abrechnung und Rabattgewährung durch die MVZ-GmbH wäre danach zulässig. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass die privaten Krankenversicherer sich mit der Erstattung solcher Rechnungen eher schwer tun werden.“

Sven Rothfuß
Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei am Ärztehaus
Oberländer Ufer 174,
50968 Köln
(0221) 34066960
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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