Fragen und Antworten in Rechtsbelangen

„Die Staatsanwaltschaft hat wegen angeblichen Abrechnungsbetrugs Anklage gegen mich erhoben. Nun wurde mir, obwohl das Verfahren noch läuft, die vertragsärztliche Zulassung entzogen und der Sofortvollzug dieser Entscheidung angeordnet. Darf der Zulassungsausschuss das?“ Diese und weitere Fragen aus der Praxis beantwortet Rechtsanwalt Sven Rothfuß.

Sofortiger Zulassungsentzug?

Frau Dr. B. aus Esslingen

Die Staatsanwaltschaft hat wegen angeblichen Abrechnungsbetrugs Anklage gegen mich erhoben. Nun wurde mir, obwohl das Verfahren noch läuft, die vertragsärztliche Zulassung entzogen und der Sofortvollzug dieser Entscheidung angeordnet. Darf der Zulassungsausschuss das?

Herr Rothfuß:

„Ich rate Ihnen in diesem Fall Widerspruch einzulegen, einen Antrag an das zuständige Sozialgericht (SG) auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen und zu beantragen, die aufschiebende Wirkung Ihres Widerspruchs anzuordnen. Mit Beschluss vom 14.04.2023 (Az. S 28 KA 242/23 ER) hat das SG München in einem ähnlich gelagerten Fall, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs einer Ärztin angeordnet. Da das staatsanwaltliche Verfahren noch lief und etwa noch viele Zeugen vernommen werden mussten, ging das SG davon aus, dass der Sachverhalt noch nicht ausreichend ermittelt worden sei und der Ausgang des Widerspruchsverfahrens daher als offen anzusehen sei. In solch einem Fall müsse eine Abwägung des Interesses am Sofortvollzug der Zulassungsentziehung und des Interesses der Ärztin, weiter tätig zu sein, vorgenommen werden. Der Zulassungsentzug komme einem vorübergehenden Berufsverbot zumindest nahe. Für den Sofortvollzug müssten daher konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter bestehen und die Entscheidung verhältnismäßig sein. Die nur potenzielle Gefahr künftiger fehlerhafter Abrechnungen, die mit einem nicht vollständig ermittelten Sachverhalt begründet wird, könne keinen solch schweren Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit der Ärztin rechtfertigen.“

Zulässige Bezeichnung einer Praxis 

Herr Dr. R. aus Bremen

Ich bin Facharzt für plastische Chirurgie und plane, mich mit einem weiteren Kollegen in einer Berufsausübungs­gemeinschaft niederzulassen. Wir möchten uns „Zentrum für Plastische Chirurgie“ nennen. Allerdings habe ich gehört, dass der Begriff „Zentrum“ irreführend und daher wettbewerbsrechtlich nicht zulässig sein soll. Stimmt das?

Herr Rothfuß:

„Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat mit Urteil vom 11.05.2023 (Az. 6 U 4/23) über eine ähnliche Konstellation entschieden. Auf den Antrag eines anderen niedergelassenen Arztes hin wurde zwei niedergelassenen Ärzten zunächst vom Landgericht untersagt, ihre Leistungen unter dem Begriff „Zentrum“ anzubieten oder zu bewerben, wenn dort lediglich zwei Ärzte tätig sind. Auf die Berufung hin hob das OLG diese Verfügung aber auf und stellte klar, dass die Verwendung des Begriffs „Zentrum“ nicht irreführend sei. Im medizinischen Bereich weise der Begriff „Zentrum“ nicht auf eine bestimmte Größe hin. Dies folge daraus, dass es auch möglich sei, ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit lediglich zwei Ärzten zu betreiben. Wenn lediglich zwei Ärzte ein MVZ bilden könnten, könnte es ihnen auch nicht versagt werden, sich als „Zentrum“ zu bezeichnen.
Wettbewerbsrechtlich ist die Bezeichnung „Zentrum“ für eine Praxis mit lediglich zwei dort tätigen Ärzten nach dieser Entscheidung des OLG also nicht (mehr) zu beanstanden.“

MVZ-Leitung

Herr F. aus Saarbrücken

Wir betreiben ein MVZ aus einer Hauptbetriebsstätte und zwei nahe gelegenen Nebenbetriebsstätten. Nach einer Kündigung müssen wir nun die Position der ärztlichen Leitung neu besetzen. Der Antrag, eine Ärztin einzusetzen, die ausschließlich in einer Nebenbetriebsstätte tätig ist, wurde abgelehnt. Ist das rechtmäßig? Kann nur eine Person, die an der Hauptbetriebsstätte tätig ist, auch ärztliche Leiterin sein?

Herr Rothfuß:

„Mit Urteil vom 03.05.2023 (Az. S 17 KA 642/22) hat das SG Marburg entschieden, dass es eine solche allgemeine Regelung nicht gibt. Es sei aber zu fordern, dass die ärztliche Leitung auch von ihrem Standort aus stets in der Lage sein müsse, die vollständige Kontrolle und Steuerung des MVZ wahrzunehmen. Hierzu müsse auch kurzfristig sichergestellt sein, dass die ärztliche Leitung an der Hauptbetriebsstätte anwesend sein könne. Diesem Erfordernis genüge eine übliche Erreichbarkeit der Hauptbetriebsstätte innerhalb von 30 Minuten, wie sie auch für die Erreichbarkeit des Vertragsarztsitzes von ausgelagerten Praxisräumen aus gefordert werde.
Die ärztliche Leiterin muss also nicht an der Hauptbetriebsstätte selbst tätig sein, muss diese aber regelmäßig innerhalb von 30 Minuten erreichen können. Klar ist aber auch, dass ärztlicher Leiter im MVZ nur sein kann, wer dort auch als angestellter Arzt arbeitet.“

Sven Rothfuß
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei am Ärztehaus
Oberländer Ufer 174, 50968 Köln
(0221) 34066960
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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