Interview: Was sollte die elektronische Patientenakte aus Ärztesicht können?

Was die elektronische Patientenakte (ePA) bisher kann, was sie eigentlich können sollte und welche Lösungen der Markt aktuell bietet, erklärt PD Dr. med. Oliver Miltner, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Gründer von DoctorBox aus Berlin.

PD Dr. med. Oliver Miltner
Arzt und Gründer von DoctorBox 

Der Gesundheitsminister plant die verpflichtende Opt-Out-Variante für Januar 2024. Sie sind skeptisch, ob die ePA bis dahin auch funktionieren wird. Warum?

Miltner:

Genau. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die ePA entweder leer oder beinhaltet einige wenige Abrechnungsdaten der Krankenkassen. Ärzte* hingegen können sie nicht mit Daten zu Diagnosen und Therapien befüllen, Röntgenbilder oder Laborbefunde fehlen. Sie hat also derzeit weder für Ärzte noch für Erkrankte einen wirklichen Mehrwert. Darum wurde sie seit der freiwilligen Einführung 2021 bislang auch nur von ungefähr sechs Prozent der Ärzteschaft genutzt.

Welche Funktionen würden Sie sich von der ePA wünschen?

Miltner:

Ich sehe einen klaren Vorteil in einer zentralen Sammelstelle für Gesundheitsdaten: Digitale Symptomchecker etwa können auf Basis von Gesundheitsdaten eine viel zuverlässigere Ersteinschätzung geben, die dem Arzt mehr Zeit am Patienten gibt. Auch der Zugriff auf Notfalldaten für lebensbedrohliche Erkrankungen könnte viel schneller über einen QR-Code erfolgen, die der betroffene Patient bei sich trägt. Und Zweitmeinungen von Arztkollegen sind viel schneller einzuholen, indem Daten und Krankheitschronik direkt freigegeben werden können. All das geht derzeit jedoch nicht.

Was müsste passieren, um dorthin zu kommen? 

Miltner:

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sollte nur die technische Infrastruktur für die ePA bereitstellen: Dinge wie Datenspeicherung, Regelung der Zugriffsrechte und Standards für den Datenaustausch. Diese können dann Unternehmen nutzen, um anwenderfreundliche Dienste zu programmieren – sei es für Patienten, Ärzte oder andere Leistungserbringer. Vergleichbar wäre das System mit dem Straßennetz: Der Staat baut und unterhält es. Er legt die Straßenverkehrsordnung fest. Wie die darauf fahrenden Autos und Fahrräder aussehen oder welche Geschäfte sich an den Rändern niederlassen, entscheiden die anderen Akteure. So sind Medikationsmanager von Gesundheitsunternehmen schon heute einsetzbar und könnten für ausgewählte Erkrankungen individualisiert sein, ehe der Medikationsmanager vom BMG 2025 kommt. Auch die Integration einer Arztsprechstunde per Video in die ePA könnte viel rascher möglich sein. Sie ist bislang nicht geplant, dabei läge der größte Mehrwert darin, Laborergebnisse einer Blutuntersuchung direkt in die ePA zu spielen. Anstelle eines physischen Termins kann der Patient direkt über die ePA ein Videogespräch mit der Ärztin anfordern, um über die Ergebnisse zu sprechen. Einige gute Gesundheitsplattformen bieten diese Art der Patient-zu-Arzt-Kommunikation in der integrierten Versorgung bereits an.

Sie wünschen sich eine App für alle Gesundheitsbelange? Auf den Markt kommen derzeit viele einzelne Apps.

Miltner:

Patienten fordern seit Jahren mehr Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Therapie und einen besseren Austausch zum behandelnden Arzt. Ärzte können schon heute digitale Gesundheitsanwendungen nutzen, um den Verlauf der Therapie auf diesen Geräten einzusehen und anzupassen. Eine zentrale Sammelstelle ist aber schon aus Komplexitätsgründen enorm wichtig. Das BMG sollte dafür sorgen, den Akteuren nicht eine App für jede Erkrankung zuzumuten, sondern eine einzelne Anwendung, die alle Anlaufstellen einer sogenannten Patient Journey (sie beschreibt den Versorgungspfad des Patienten) in sich vereint, diese Daten sammelt und für eine umfassende Krankheitsgeschichte zur Verfügung stellt. Erste Gesundheitsplattformen sind hier auf einem guten Weg und bieten u. a. die Speicherung der Gesundheitsdaten auch für große Dateien wie MRT- und Röntgenbilder an. 

*Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nina Pressentin, Senior Communications Consultant bei PIABO.

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