Vorhersagekraft von In-vitro- und Ex-vivo-Testmethoden bei der Entwicklung von Topika

Dominique Jasmin Lunter. Ex-vivo-Untersuchungen der Hautpenetration von Arzneistoffen aus Dermatika tragen der Substantivität der Formulierungen oft nicht ausreichend Rechnung. Diese spielt jedoch eine maßgebliche Rolle für die aufgenommene Arzneistoffmenge. Es wurden drei Methoden entwickelt, um die Substantivität von Dermatika ex vivo zu untersuchen und ihren Einfluss auf die Arzneistoffaufnahme zu messen. Mangelnde Substantivität führt demnach zu deutlich verringerter Arzneistoffaufnahme. Schlüsselwörter: Dermatika, Haut, Substantivität, ex vivo

Zitierweise: HAUT 2021;32(6):285-287.

Abstract

Ex vivo assessment of skin penetration of actives from formulations neglect the effect of low substantivity. Still, this parameter plays an important role regarding the absorbed amount of actives. Three methods were developed to analyse substantivity ex vivo, and to measure its impact on active absorption. It was shown that low substantivity leads to reduced active absorption.
Key words: topical products, skin, substantivity, ex vivo 

Chronische Hauterkrankungen kommen in Deutschland mit steigender Häufigkeit vor und betreffen einen immer größeren Teil der Bevölkerung. Hierbei ist insbesondere die atopische Dermatitis zu nennen, gefolgt von der Psoriasis, der Ichtyosis und der Urtikaria. Diese Hauterkrankungen sind mit einer Störung der Hautbarriere assoziiert und gehen mit Symptomen wie Hauttrockenheit und Schuppung sowie Juckreiz einher. Sie können in der Folge zu Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und sogar zu Depressionen führen. Dabei wird der Einfluss der Erkrankungen auf die Lebensqualität von den Betroffenen als ähnlich schwer bewertet wie etwa bei verschiedenen Krebserkrankungen. Gleichzeitig sind etwa 60 % der Patientinnen und Patienten unzufrieden mit ihrer Therapie und 40 % zeigen eine mangelnde Adhärenz. Als Gründe hierfür werden insbesondere schlechte Verträglichkeit, ungenügende Wirksamkeit und ein hoher Aufwand der Therapie genannt. Gleichzeitig gibt es in Deutschland wie auch weltweit einen Mangel an galenischen Innovationen im Bereich der Dermatika. Deshalb besteht hier weiterhin ein hoher Forschungsbedarf. Ein kleiner Teil der neueren Forschung in Bezug auf Dermatika wird in diesem Artikel vorgestellt1-6

Ex-vivo-Methoden zur Charakterisierung der Arzneistoffaufnahme

Bei der In-vitro- und Ex-vivo-Charakterisierung der Aufnahme von Arzneistoffen in die Haut unterscheidet man zwischen Untersuchungen zur Freisetzung, Penetration und Permeation (Abb. 1). 

Wird ein Arzneistoff in einer Formulierung auf die Haut aufgetragen, so ist der erste Schritt die Freigabe des Arzneistoffs aus der Formulierung an die Haut (Liberation). Die Liberation wird mithilfe synthetischer Membranen untersucht. Dabei dient die Membran ausschließlich dazu, die Formulierung vom Akzeptormedium zu trennen und übt keinen Einfluss auf die Freisetzungs-Geschwindigkeit des Arzneistoffs aus. Der zweite Schritt besteht in der Diffusion des Arzneistoffs in die obersten Hautschichten des Stratum corneum (Penetration). Die Penetration kann ex vivo untersucht werden, indem die Haut für eine bestimmte Zeit mit der Formulierung und dem Arzneistoff in Kontakt steht und anschließend die Haut segmentiert wird. Dies geschieht entweder durch eine Kryo-Segmentation oder durch sukzessive Klebebandabrisse (tape stripping). Im ersten Fall können alle Hautschichten analysiert werden, im zweiten Fall nur das Stratum corneum. Wenn Arzneistoff in die Haut aufgenommen wurde und in tiefere Schichten diffundiert ist, so erreicht er in vivo die Blut­gefäße und kann in den systemischen Kreislauf aufgenommen werden (Resorption oder Absorption). Im Ex-vivo-Experiment wird diese Resorption nachgestellt, indem unter der Haut ein Akzeptormedium bereitgestellt wird, in welches der Arzneistoff diffundiert. Nach bestimmten Zeiten werden dann Proben aus dem Akzeptormedium entnommen und analysiert (Permeations-Experimente). Freisetzungs-, Penetrations- und Permeations-­Experimente werden häufig in sogenannten Franz-Diffusionszellen durchgeführt. Hierbei kann entweder eine unendliche oder eine endliche (z. B. 2 mg/ cm2) Menge Formulierung aufgetragen werden. 

Untersuchung der Substantivität

Den Anwendungsbedingungen in vivo kommt die endliche Auftragungsmenge am nächsten. Dennoch werden manche Aspekte, die in vivo auftreten, im Ex-vivo-Experiment nicht berücksichtigt. Dies betrifft insbesondere die Tatsache, dass sich Patienten nach Applikation der Formulierung bewegen und Kleidung tragen. Dadurch kommt die behandelte Hautstelle mit der Formulierung darauf in Kontakt mit anderen Oberflächen, zum Beispiel anderen Hautstellen oder Textilien. Durch diesen Kontakt kann Formulierung von der behandelten Hautstelle abgetragen werden und somit steht weniger Arzneistoff für die Aufnahme in die Haut zur Verfügung. Man spricht hier von mangelnder Substantivität. Um zu beleuchten, welchen Einfluss eine derartige Abtragung der Formulierung von der Haut auf die Therapie haben kann, wurden drei Methoden entwickelt, um ­Textil- oder Hautkontakt zu simulieren7,8

  • In Methode 1 wird ein Hautstück mit Formulierung eingecremt und dann in Kontakt mit einem weiteren Hautstück gebracht. Die Menge, die auf dem Hautstück zurückbleibt, sowie die Menge, die auf das andere Hautstück übertragen wurde, werden bestimmt. 
  • In Methode 2 wird ein Hautstück mit einer Menge Formulierung eingecremt und anschließend ein Textilstück darüber gerollt. Anschließend werden wieder die verbliebenen sowie die übertragenen Mengen bestimmt. Diese Methoden dienen der Untersuchung der Substantivität der Formulierung. 
  • In Methode 3 wird ein wiederholter Textil- oder Hautkontakt während eines Ex-vivo-Permeations-Experimentes in Franz-­Diffusionszellen simuliert. Die durch die Haut in das Akzeptormedium diffundierte Menge Arzneistoff wird bestimmt und mit der Arzneistoffmenge verglichen, welche ohne Haut- oder Textilkontakt permeiert ist. Es wurden drei Modellformulierungen verwendet, von welchen eine unterschiedliche Substantivität erwartet wurde: Eine film­bildende Formulierung, von welcher die höchste Substantivität erwartet wurde. Eine Rizinusöl-in-­Silikonöl-Emulsion, von der die niedrigste Substantivität erwartet wurde. Und eine hydrophile Creme, basierend auf Basiscreme DAC, von welcher eine mittlere Substantivität erwartet wurde. 

Die Ergebnisse der Methode 1, bei der zwei Hautstücke in Kontakt zueinander gebracht wurden, zeigen, dass von der filmbildenden Formulierung über 90 % auf der Haut verbleiben, während von der Öl-in-Öl-Emulsion etwa 50 % abgetragen werden und von der hydrophilen Creme etwas über 30 %. 

Mit Methode 2 wurde ein Textil-zu-Haut-Kontakt simuliert, hier verblieb die gesamte filmbildende Formulierung auf der Haut, von der Öl-in-Öl-Emulsion wurden 90 % abgetragen und von der hydrophilen Creme über 50 %8

Einfluss der Substantivität auf die Arzneistoffaufnahme

Anschließend wurde mit Methode 3 in einem Permeations-Experiment untersucht, welchen Einfluss die Substantivität oder mangelnde Substantivität auf die Permeation des Arzneistoffs durch die Haut zeigt. Es wurden 5.400 Kontakte mit einem Textilstück über einen Zeitraum von 3 Stunden durchgeführt. Anschließend wurde die Permeation über 48 Stunden beobachtet. Bei der filmbildenden Formulierung ergab sich kein Unterschied in der permeierten Menge oder der Permeations-Geschwindigkeit über den gesamten Zeitraum. Bei der Öl-in-Öl-Emulsion war die permeierte Menge nach 48 Stunden um 60 % reduziert. Bei der konventi­onellen Creme wurde die permeierte Menge nach 48 Stunden um 70 % reduziert7. Zur Überprüfung der Vorhersagekraft der entwickelten Ex-vivo-Modellsysteme wurde eine In-vivo-Untersuchung durchgeführt (genehmigt durch die Ethik-Kommission der Universität Belgrad, schriftliche Probanden­aufklärung erfolgt und dokumentiert), bei der eine bestimmte Menge Formulierung auf den Oberarm von Probanden aufgetragen wurde. Die Probanden hatten dann 4 Stunden Zeit, sich normal zu bewegen. Anschließend wurden die verbleibende Formulierungsmenge auf der Haut bestimmt sowie die Menge, die auf ein an der Innenseite des T-Shirt-Ärmels befestigtes Textil übertragen wurde. Von der Öl-in-Öl-Emulsion wurden 90 % der Formulierung abgetragen und von der hydrophilen Creme etwa 75 %.

Fazit

Somit korrelieren die Ergebnisse der Ex-vivo-Untersuchung sehr gut mit denen der In-vivo-Untersuchung. Dies bedeutet für die In-vivo-Situation, dass die in den Körper aufgenommene – und somit für die Therapie zur Verfügung stehende – Arzneistoffmenge ebenfalls um 60 bis 70 % reduziert wäre. Damit lässt sich leicht erklären, weshalb die Therapie von den Patienten als nicht effektiv wahrgenommen wird. Zukünftige Entwicklungen im Bereich der Dermatika sollten daher nach Möglichkeit die Substantivität der Formulierungen mit einbeziehen.

Literatur

1. Augustin M. et al. Processes of psoriasis health care in Germany – long-term analysis of data from the statutory health insurances. JDDG 2012;10:648-655.
2. Bergmann KE et al. Atopie in Deutschland. Deutsches Ärzteblatt 1993;45:1341-1347.
3. Büchele G, Weinmayr G, Genuneit J et al. Atopische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter: Häufigkeiten und Trends weltweit. Allergologie 2008;31:48-55.
4. Gensthaler BM. In: Pharmazeutische Zeitung 2010;32.
5. Lehmann PM. Rosazea: Epidemiologie, Pathogenese, Klinik und Therapie. Deutsches Ärzteblatt 2007;104:1741-1746.
6. Maziak W et al. Are asthma and allergies in children and adolescents increasing? Results from ISAAC phase I and phase III surveys in Münster, Germany. Allergy 2003;58:572-579.
7. Schmidberger M, Daniels R, Lunter D. Method to determine the impact of substantivity on ex vivo skin-permeation. Eur J Pharm Biopharm 2018;131:1-7.
8. Herrmann S, Daniels R, Lunter D. Methods for the determination of the substantivity of topical formulations. Pharma Dev Technol 2017;22:487-491.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dominique Jasmin Lunter 
Pharmazeutische Technologie
Pharmazeutisches Institut 
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Auf der Morgenstelle 8
72076 Tübingen
E-Mail: dominique.lunter(ett)uni-tuebingen.de

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung