Die antike Läusekrankheit

Friedrich Bahmer. Von der Antike bis in die Neuzeit geisterte die „Läusekrankheit“ durch die Literatur, eine schreckliche, manchmal sogar tödliche Parasitenkrankheit der Haut (3,4). Die letzten Fälle dieser geheimnisvollen Krankheit wurden in den 1860er Jahren berichtet, seitdem ist die Krankheit verschwunden.

Zitierweise: HAUT 2024;35(1):44-45.

Da der Erreger nie bestimmt worden war und die Symptome keinesfalls durch Läuse hervorgerufen sein konnten, wurde die Existenz der Läusekrankheit jahrhundertelang geleugnet, Beschreibungen wurden als Einbildung abgetan.

In der Antike und im Mittelalter berichteten vor allem Biografen berühmter Persönlichkeiten über die Läusekrankheit, in blumiger Prosaform, entsprechend dem Empfinden des Kranken sowie den zeit­genössischen – meist religiös grundierten – Vorstellungen von Krankheit. Eine Übersetzung dieser Beschreibungen in die heutige wissenschaftlich-nüchterne dermatologische Terminologie ist nicht möglich, entstand jene doch erst gegen Ende der Renaissance und am Übergang zur Neuzeit. Erst mithilfe des Buchdrucks konnten neue Erkenntnisse, Krankheitsbeschreibungen und Systematiken verbreitet und die Entwicklung von Naturwissenschaft und Medizin gefördert werden. Im 17. Jahrhundert wurden dann die ersten Lehrbücher und Atlanten über Hautkrankheiten publiziert7.  

Läusekrankheit als göttliche Strafe für Sulla?

Die Läusekrankheit als eine besondere Form des Befalls mit als Läuse angesehenen Insekten, die nicht auf, sondern in der Haut leben, wurde bereits von Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. beschrieben. So recht beginnt die Geschichte der Läusekrankheit aber erst mit deren prominentestem Opfer, dem römischen Diktator Lucius Cornelius Sulla im 1./2. vorchristlichen Jahrhundert. Der damaligen Vorstellung schwerer und abstoßender Krankheiten entsprechend sei Sulla von den Göttern für seine brutale Herrschaft, seine Raubzüge und seinen ausschweifenden Lebensstil mit Läusen gestraft worden; mit Läusen, die ihn bei lebendigem Leib aufgefressen hätten6. Berichtet wird über Beulen der Haut, aus denen sich, sobald diese eröffnet wurden, Myriaden von weißlichen Insekten entfernten. Mit keiner Therapie wurde man dieser Insekten Herr, sodass Sulla schließlich elend daran zugrunde gegangen sei.

Nur eine einzige passende Abbildung überliefert

Ab Mitte des 16. Jahrhunderts wurde auch in Europa über einzelne Fälle der Läusekrankheit berichtet, zu denen in den folgenden 300 Jahren kaum mehr als weitere einhundert Fälle dazukamen4. In mehreren dermatologischen Büchern wurde die Läuse­krankheit erwähnt und es wurden sogar Dissertationen darüber verfasst. Besonders bekannt und lange als Referenz angesehen wurde die Abbildung „Psoride papuleuse pédiculaire“ in dem 1825 erschienenen, weit verbreiteten Lehrbuch des französischen Arztes Alibert1. Abgebildet ist aber nicht die Läusekrankheit, sondern höchstwahrscheinlich ein Ekzem oder eine ekzematisierte Skabies.

Die wohl einzige Abbildung der Läusekrankheit, die zu vorausgegangenen Berichten sehr gut passt, findet sich im opulent bebilderten Lehrbuch von Robert Willan12, das bereits ein Vierteljahrhundert vor Aliberts Buch erschienen war. Willan beschreibt den Fall eines alten Mannes mit extrem juckenden Knötchen an den Extremitäten (Abb. 1). Wurden die Knötchen eröffnet, strömten daraus in bemerkenswerter Geschwindigkeit unzählige winzige weißliche, mit dem bloßen Auge gerade noch sichtbare Insekten heraus. Auch im Fall von Willan wurden die Insekten – wie in allen anderen Fallberichten auch – entomologisch nicht klassifiziert, obwohl Carl von Linné seine Einteilung der Insektenwelt bereits mehr als 50 Jahre zuvor veröffentlicht hatte. 

Nach Expertenstreit: Läusekrankheit verschwindet aus der Literatur

Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Landarzt Dr. Gaulke in Insterburg (heute Tschernjachowsk nahe Kaliningrad) zwei Fälle der Läusekrankheit beschrieb, kam es zum Streit mit dem damals in Europa führenden österreichischen Dermatologen Ferdinand Ritter von Hebra, ein Streit, der als „Wiener Phthiriasis-Debatte“ in die Medizingeschichte eingegangen ist. Obwohl von Hebra Gaulkes Patienten nicht selbst in Augenschein genommen hatte, verwies er die Läusekrankheit apodiktisch in das Reich der Fabel mit der Begründung, er habe unter tausenden von Patienten mit Läusen keinen einzigen Fall der Läusekrankheit gesehen. Nach diesem Streit verebbte die Diskussion, da keine neuen Fälle mehr berichtet wurden. Die Läusekrankheit verschwand aus der medizinischen Literatur3,4

Vogelmilbe bei Immungeschwächten?

Erneut in den Fokus geriet diese seltsame Krankheit, als der niederländische Entomologe Oudemans9 eine von Bertold schon 1845 beschriebene, in der Vogelwelt parasitierende Milbenart wiederentdeckte und als Harpyrynchus spp. klassifizierte. Diese Milben, etwas größer als humane Skabiesmilben, bilden in der Haut von Vögeln Zysten, die eine große Zahl von Milben enthalten können. Bemerkenswert ist, dass schon Aristoteles über solche milbenhaltigen Zysten bei Vögeln und Fasanen berichtet hatte3. Anhand der Bilder in Willans Atlas konnten wir zeigen, dass die Insekten seines Prurigo-Falles von der Beschreibung und der Größe her ziemlich genau Harpyrynchus-Vogelmilben entsprechen3. Die bemerkenswert hohe Geschwindigkeit, mit der sich Haut­milben fortbewegen, lässt sich heute noch am „Milbenlauf“ beobachten, wenn es gelingt, den Gang der Krätzmilbe zu eröffnen, ohne die Milbe zu schädigen. 

Unklar ist, warum die Läusekrankheit gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschwunden ist. Zu vermuten ist, dass von dieser extrem seltenen Zoonose wohl nur immungeschwächte Menschen betroffen waren, die Kontakt mit infizierten Vögeln gehabt hatten. Hier drängt sich der Vergleich mit heutigen Infektionskrankheiten auf, vor allem solchen, die durch zoonotische Viren verursacht werden. Im Fall der Vogelmilben hat sich möglicherweise auch das tierische Reservoir verändert, wurde doch in den letzten Jahrzehnten in der veterinärmedizinischen Literatur nur ganz vereinzelt über Harpyrynchus berichtet8

„Unstillbarer Juckreiz“

Aus der Renaissance stammt eine literarische Spur der Läusekrankheit in Form des wortgewaltigen, von Angelo Poliziano (1454 bis 1494) in Hexametern verfassten Traktates „Wald aus Krätze“10. Der Begriff „Wald“ bezieht sich dabei nicht auf die Krätze, sondern auf eine damals übliche Publikationsform11. In diesem Traktat beschreibt Polizi­ano, Sekretär Lorenzo di Medicis und Erzieher des jungen Giuliano di Medici, das Leiden eines Zeitgenossen, der an einer durch Insekten bedingten fürchterlichen Hautkrankheit leidet, begleitet von extremem Juckreiz, der den Patienten fast in den Wahnsinn treibt2. Dreihundert Jahre vor Poliziano hatte dessen berühmter Landsmann Dante Alighieri in seiner Göttlichen Komödie, im 29. Gesang seines „Inferno“, die Strafe für Fälscher so beschrieben: von Kopf bis Fuß mit Schorf bedeckt zu sein, geplagt von rasendem, unstillbarem Juckreiz5.

Literatur

1. Alibert JL. Description des maladies de la peau. 2ème edition, tome seconde. Auguste Wahlen, primeur-librairie, Bruxelles 1825.
2. Bahmer FA. Angelo Polizianos „Sylva in Scabiem“: Skabies oder Antike Läusekrankheit? Hautarzt 2022;73:174-176.
3. Bahmer FA, Eckert A. Phthiriasis, die geheimnisvolle Läusekrankheit der Antike. Fakt oder Fiktion? Hautarzt 2015;66:143-148.
4. Bondeson J. A cabinet of medical curiosities. Cornell University Press, New York 1998, S. 51-71. 
5. Dante Alighieri. Commedia. In Deutscher Prosa von Kurt Flasch. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013.
6. Eckert A. Lucius Cornelius Sulla in der antiken Erinnerung. Jener Mörder, der sich Felix nannte. Millennium Studien, Band 60, Walter de Gruyter, Berlin/ Boston 2016.
7. Ehring F. Hautkrankheiten. 5 Jahrhunderte wissenschaftlicher Illustration. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, New York 1989.
8. Litérak I, Chytil J, Trnka A et al. Subalar cutaneous cysts with Harpyrynchus nidulans in bearded tits and hawfinches in Central Europe. Avian Pathology 2005;34(1):26-28.
9. Oudemans AC. Über Läusesucht und über ihren Erzeuger, Harpyrynchus Tabescentium (Bertold 1845). Z Parasitenkunde 1940;11:145-198.
10. Roth T. Angelo Poliziano. Sylva in scabiem. Wald aus Krätze. hochroth Wien 2016.
11. Roth T. Welt der Renaissance. Verlag Galiani, Berlin 2020.
12. Willan R. Description and treatment of cutaneous diseases. Order I. Papulous eruptions on the skin. J. Johnson, London 1798.

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Prof. Dr. med. Friedrich Bahmer
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