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36. Jahrgang_1_2024 14 Kongress // 30. Bonner Venentage Was früher galt Bis vor wenigen Jahren war es völlig klar, dass die Kompression des Beins bei akuter bakterieller Entzündung der Haut kontraindiziert war (5). Es bestand die Sorge, dass es durch eine mögliche Keimverschleppung zu septischen Komplikationen kommen könnte. Bereits seit längerem wird der Wiedereinsatz lymphtherapeutischer Maßnahmen beim Erysipel der Beine diskutiert (6). Hierbei etabliert ist die Einschätzung, dass wenn die Antibiose klinisch greift, der Patient immunkompetent und fieberfrei ist und die lokale Schmerztherapie es zulässt, lymphtherapeutische Maßnahmen wieder eingeleitet werden können (6). Trotz dieser langjährigen Diskussion hat sich – wohl aus „Sicherheitsgründen“ – die Regel etabliert, dass wenn ein Erysipel auftritt, die Behandlung mit manueller Lymphdrainage und Kompression bis zur Abheilung des Erysipels und Freigabe durch den behandelnden Arzt kontraindiziert ist (9). Um es vorwegzunehmen: Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Leitlinien und aktuelle Daten nicht gestützt. Erysipel und Ödem Als Risikofaktor für rezidivierende Erysipele gelten Hautverletzungen (Odds Ratio (OR) 1,9), Lymphödem (OR 19,6) und Adipositas (OR 2,3) (3). Zwei Faktoren dürfen als ursächlich für die signifikant häufiger auftretenden rezidivierenden Erysipele bei Ödempatienten gelten: Zum einen haben Ödempatienten mit zunehmendem Schweregrad des Ödems häufiger interdigitale Läsionen als mögliche Eintrittspforten für Streptokokken. Mit zunehmender Zahl dieser interdigitalen Läsionen steigt auch die Häufigkeit der Erysipele (4). Zum anderen kommt es offensichtlich bei Ödempatienten unter einer intravenösen Standardantibiose zu einer unzureichenden Erregerelimination. Dies zeigte sich bei einer Studie an Patienten mit mindestens zehn Erysipelepisoden in den letzten zwei Jahren und anhaltenden chronischen Entzündungszeichen der Beine. Bei diesen Patienten sank auch unter rezidivierender Antibiose mit intravenös appliziertem Penicillin der Antistreptolysin (ASL)-Titer erst nach drei Antibiosen unter Normalwerte ab (1) (Abb. 1). Aktuelle Leitlinien und Studiendaten Erstmals wurde 2020 in einem Konsensusdokument das Erysipel nicht mehr als Kontraindikation für die Kompressionstherapie gelistet, sondern im Gegenteil, zusätzlich zur Antibiose eine Kompressionstherapie als Indikation empfohlen. Wörtlich hieß es in dem Konsensusdokument unter Empfehlung 19: „We suggest additional compression, in purpura due to leucocytoclastic vasculitis and in leg erysipelas or cellulitis, to reduce inflammation, pain and oedema. In infectious inflammation, we suggest compression only in combination with antibacterial treatment.“ (8). Diese Aussage des Konsensuspapiers spiegelt sich in der aktuellen deutschen AWMF-Leitlinie zur medizinischen Kompressionstherapie wider (7). In dieser Leitlinie wird das Erysipel ebenfalls nicht als eine Kontraindikation aufgelistet. Vielmehr werden unter Empfehlung 28 explizit entzündliche Dermatosen der Beine als Indikation zur Kompressionstherapie gesehen. Diese Einschätzung wurde in einer retrospektiven Analyse an 53 stationären Patienten überprüft (2). Bei dieser Analyse wurde vom ersten Tag der stationären Behandlung eine Antibiose und gleichzeitig eine Kompressionstherapie mit Kompressionsbandagen eingesetzt. Bei allen Patienten kam es vom ersten Tag bis zum Tag der Entlassung zu einem signifikanten Abfall der Leukozyten und des CRP-Wertes. Von größter Bedeutung war, dass im Mittel kein Anstieg der Leukozyten und des CRPs nach einem Tag unter Kompressionstherapie bei floridem Erysipel auftrat. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass die befürchtete Komplikation der Keimverschleppung nicht auftrat. Septische Komplikationen wurden nicht beobachtet. Kompressionstherapie beim Erysipel – Kontraindikation oder neuer Standard? M. Stücker Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, St. Josef-Hospital und Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken der Ruhr-Universität Bochum & St. Maria-Hilf-Krankenhaus, Katholisches Klinikum Bochum gGmbH, Bochum 400 350 300 250 200 150 100 50 0 akut Gruppe 1 Gruppe 2 Monate nach letztem Erypsel ASL ASL [U/ml] 3 6 9 121518212427 Abb. 1: Verzögerte Normalisierung des Antistreptolysin (ASL)-Titers unter zyklischer Antibiose bei Patienten mit persistierenden Ödemen (Gruppe 2) im Vergleich zu Patienten ohne persistierende Ödeme (Gruppe 1) (nach Allard et al. 1999 (1)).

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