Wirtschaftsmagazin für die frauenärztliche Praxis 5/2022

Von 1992 bis 2017, also in 25 Jahren, sank die Pillennutzung bei den 15–24-Jährigen von 80% auf 60%, bei den 25–34-Jährigen von über 60% auf unter 50%. Von den Frauen zwischen 35 und 44 Jahren nutzte jede vierte die Pille und bei den 45–49-Jährigen jede achte. In den beiden zuletzt genannten Gruppen kam es hingegen von 2007 bis 2017 zum Anstieg der Pillennutzung, während es in den jüngeren Altersgruppen einen deutlichen Rückgang gab. Auffällig ist, dass die höheren Altersgruppen wieder häufiger zur Pille greifen, trotz gewisser Risiken, die es bei jüngeren und damit meist gesunden Frauen bei heutiger Hormondosierung in der Pille nicht mehr gibt. Es wäre angezeigt, sozialwissenschaftlich zu erforschen, welche Ursachen zu Pillenablehnung bzw. „Pillenmüdigkeit“ oder Hormonskepsis führen. Eine Literaturrecherche mit Daten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommt zu dem Ergebnis, dass in den sozialen Medien und einigen TV-Sendern regelrechtes Hormon-Bashing stattfindet, auch bezogen auf die „Pille“.1 Bei der Verordnung ist das geringere Risiko von Gestagen-Monopillen für venöse Thromboembolien (VTE) abzuwägen gegenüber dem Zusatznutzen, den nur Kombinationspillen aufweisen, die Gestagen und Östrogen enthalten, wie z. B. einer Reduzierung des Krebsrisikos um die Hälfte und mehr. VTE-Risiko in Relation setzen Für Frauen zwischen 18 und 49 Jahren ohne hormonale Kontrazeption beträgt das VTE-Risiko 3,7 je 10.000 Frauen/Jahr (s. Tab. 1).2 Unter Gestagen-Monopillen ist das Risiko geringer: 2,0 bei Norethisteron, 2,1 bei Desogestrel und 3,5 mit Levonorgestrel-Intrauterinpessar (IUP) je 10.000/Jahr.2 Im Vergleich dazu weisen Kombinationspillen folgendes VTE-Risiko auf: 20μg Ethinylestradiol (EE) +Desogestrel mit 6,8, 30–40μg EE + Desogestel mit 11,8, 30–40μg EE+Gestoden mit 11,0 und 50μg EE+Norethisteron mit 16,1 je 10.000/Jahr.2 Für gesunde Frauen sind das meist eher statistische Probleme, denn hinter diesen Zahlen „verbirgt“ sich oft ein riskanter Lebensstil, allen voran Nikotinkonsum, Adipositas und Bewegungsmangel. Durch einen gesunden Lebensstil ist das VTE-Risiko zu reduzieren. Da das VTE-Risiko durch bestimmte Erkrankungen oder Verhaltensweisen jedoch steigen kann, sind diese vor Verordnung der Pille im Rahmen der Anamnese zu erfragen, um das individuelle VTE-Risiko der Patientin zu ermitteln, wie z.B. Alter >35 Jahre, Nikotinkonsum, BMI, stattgehabte VTE, positive VTE-Familienanamnese (Verwandte 1. Grades), längere Immobilisation geplant (z.B. OP), Adipositas oderThrombophilie in der Familie. Bei der Beratung der Patientin ist demVTE-Risiko bei Pilleneinnahme das VTE-Risiko in Schwangerschaft undWochenbett gegenüberzustellen, das kontinuierlich ansteigt. Es liegt in den ersten sechs Wochen nach der Geburt um den Faktor zehn höher als außerhalb der Schwangerschaft.3 Ursache ist die hohe Konzentration an prothrombotischen Markern, die vor allem dafür notwendig sind, die Plazenta-Haftstelle als große blutende Wunde „abzudichten“. Vorteile von Ethinylestradiol In der Pille wird Ethinylestradiol (EE) gegenüber Östradiol bevorzugt, da Östradiol den Zyklus nur schlecht kontrolliert. EE wird langsamer im Endometrium abgebaut und verhindert auf dieseWeise Zwischenblutungen, zugleich schützt die Kombination EE+Gestagen vor Krebs. Das gelingt mit Gestagen-Monopillen nicht.4 BILD(ER): AFRICA STUDIO – SHUTTERSTOCK Abb. 1: Viele Studien sprechen für mehr Nutzen als Risiken bei der Anwendung der Kombinationspille. Aber immer mehr Frauen stehen der Pillennutzung kritisch gegenüber. Kombinationspillen haben mehr Zusatznutzen als Risiken Die Ersteinführung der Antibabypille war 1960 von viel weltanschaulich-religiös geprägter Ablehnung begleitet. Mehr als 60 Jahre später sprechen große empirische Datenbanken für wesentlich mehr Nutzen als Risiken bei der Anwendung von Kombinationspillen. Heutige Präparate beinhalten eine halb so hohe oder noch geringere Hormondosierung wie frühere. Trotzdem lehnen viele, gerade jüngere Frauen die Anwendung ab. In diesem Beitrag wird die aktuelle Studienlage dargestellt. MEDI Z I N 30 Wirtschaftsmagazin für die frauenärztliche Praxis 5/2022

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